16. Januar 2011
Auch wenn es einem Mädchen prächtig geht
Im Süden von Deutschland: Eine Mutter geht mit ihrer kleinen Tochter zum Kinderarzt. Die Untersuchung ergibt: Dem Mädchen geht es prächtig. Zur gleichen Zeit trudelt beim Jugendamt eine Gefährdungsmeldung ein. Das Kind werde vernachlässigt, heißt es. Drei Tage später ist das Mädchen weg. Die Bescheinigung des Arztes wird ignoriert.
Heiß diskutiert wird in Italien derzeit der Fall Colombo. "In Deutschland gehören die Kinder dem Staat", sagt diese Mutter immer wieder vor laufenden Fernsehkameras. Im Frühjahr 2010 hat sie ihre Kinder zum zweiten Mal aus Deutschland entführt. Das Münchner Familiengericht urteilte zwar, dass die Jungen beim Vater besser aufgehoben wären, aber in Italien wird Marinella Colombo als "La Mama" gefeiert, obwohl auch ein Gericht aus Mailand gegen sie entschied. Sie hat Nicolo (8) und Leonardo (12) gut versteckt. Niemand kann sie finden.
In jeder Sendung über diesen Fall wird den Zuschauerinnen und Zuschauern eingetrichtert: Das Jugendamt ist eine Erfindung der Nazis. Das ist falsch. Die ersten Jugendämter gab es 1925. Basis war das 1924 in Kraft getretene Reichsjugendwohlfahrtsgesetz. Zu den Aufgaben gehörten die Sonderfürsorge für Minderjährige, die Krüppelfürsorge, die Heilfürsorge und die Fürsorgeerziehung. Heute ist in Deutschland Gesetz: Jeder Kreis und jede kreisfreie Stadt muss ein Jugendamt haben.
Im hohen Norden: Einem Ehepaar werden alle Kinder weggenommen. Sie kommen immer morgens. Eine der Begründungen für das Eingreifen des Jugendamtes lautet: Das Paar zieht seit 1976 zu oft um. In jenem Jahr ist die Mutter 13 Jahre alt. Wohnt bei ihren Eltern.
2009 sind 33 710 Kinder aus ihren Familien genommen worden, 31 Prozent mehr als 2005. 2006 stirbt in Bremen der kleine Kevin, ein Jahr später in Nördlingen die kleine Leonie. In den Jugendämtern steigt die Nervosität. Kommen sie zu spät, hagelt es Kritik. Deswegen kommen sie lieber zu früh, manchmal sogar grundlos.
"Bei Anruf Kind weg" hat kürzlich die Presse berichtet. Über eine gehörlose Mutter aus Hamburg, die sich vom Jugendamt Hilfe erhoffte. Inzwischen ist ihr Junge in einem Heim - nach zwei Jahren in einer Pflegefamilie. Die Mutter sei psychisch labil, behauptet das Jugendamt. Kein Wunder, sagt sie, wenn einem das Kind einfach so weggenommen wird...
Schon seit Jahren steht die Forderung im Raum: Schafft eine Fachaufsicht für Jugendämter. Das Bundeskabinett denkt über eine Schiedsstelle nach. Bis dahin wird so manches Jugendamt noch diese Argumentationskette vorstanzen: Erst ist es für eine Rückkehr der Kinder zu früh, dann zu spät.
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