Freitag, 22. Oktober 2021

Aufgelesen (2021)

Fall Lügde: Noch ein Jugendamt betroffen

In den Akten, die dem Untersuchungsausschuss im NRW-Landtag vorliegen, wird das Mädchen "Daniela" genannt - nicht ihr richtiger Name. Sie ist eines der Kinder, dem über einen längeren Zeitraum auf dem Campingplatz in Lügde sexuelle Gewalt angetan wurde. Missbraucht wurde sie vor allem von Mario S., dem jüngeren der beiden verurteilten Haupttäter. Er ist ihr Patenonkel.

Damals war Daniela etwa acht Jahre alt. Zuständig für das Kind war zu diesem Zeitpunkt das Jugendamt Höxter. Es schickte regelmäßig eine Familienhilfe, die Danielas Mutter bei der Erziehung helfen sollte. Diese freiwillige Unterstützung sei von der Mutter gut angenommen worden, sagte die damals zuständige Mitarbeiterin des Jugendamtes am Mittwoch im NRW-Landtag aus. Die Gefahr des sexuellen Missbrauchs sei allerdings mit dem Kind oder in den Gesprächen mit der Familienhilfe nicht genauer thematisiert worden.

WDR, 3. Februar 2021

Kein Informationsaustausch über Horror

Im Sommer 2017 stirbt ein Pflegekind in der Obhut ihrer Pflegemutter. Die heute 52-Jährige gesteht, die 21 Monate alte Naelys getötet zu haben. Sie wird zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt. Dem WDR liegen jetzt Fall-Unterlagen vor, die eine wichtige Frage aufwerfen: Hätte eine bessere Kommunikation der beteiligten Jugendämter und Jugendschutz-Institutionen die Tat verhindern können?

Die Zeit als Pflegemutter beginnt für die Solingerin 2014. Nach nur kurzer Zeit bekommt sie ein Pflegekind vom Jugendamt Wuppertal wieder abgenommen. Aus den Fall-Unterlagen geht hervor, dass die Erfahrung mit der Frau Horror gewesen sei. Sie sei unberechenbar, so das Amt. Die später mit der Solingerin befassten Jugendämter wissen davon offenbar nichts.

WDR, 24. Februar 2021

Pädophilen-Netzwerk: Berliner Senat bleibt untätig

Über Jahrzehnte haben die Berliner Jugendämter Kinder an Pädophile vermittelt. Aus einem Gutachten geht hervor, dass es in Berlin ein institutionell gut vernetztes Pädophilen-Netzwerk geben muss, das bis heute nicht offengelegt wurde. Der Berliner Senat bleibt untätig.

Wirtschaftsnachrichten, 5. März 2021

Kindesmissbrauch in Münster-Kinderhaus: Weiteres Urteil 

Yunus C. (27) wird in Saal A.14 gebracht. Sein Gesicht versteckt er hinter einer Akte. Über dem Kopf trägt er noch ein schwarzes Tuch. Er atmet schwer. In einem weiteren Prozess im Missbrauchskomplex Münster hat das Landgericht den Aachener unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen zu neun Jahren Haft verurteilt. Insgesamt waren 21 Taten Gegenstand des Urteils.  Bild, 9. März 2021

Lügde: Haben noch mehr Jugendämter versagt?

Bei der Aufklärung des Behördenversagens im Missbrauchsfall Lügde geraten immer mehr Jugendämter in den Blick des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses im nordrhein-westfälischen Landtag. Nach SPIEGEL-Informationen hat der Ausschuss jetzt die Jugendamtsakten von 23 Städten angefordert, in denen Opfer der Missbrauchstäter vom Campingplatz in Lügde leben. Darunter sind die Städte Wuppertal, Gütersloh, Detmold, Paderborn und Aachen.

Der Spiegel, 29. April 2021

Wer zu Kindesmissbrauch anleitet soll bestraft werden 

Die Bundesregierung will den Besitz und das Verbreiten von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern unter Strafe stellen. Das geht aus einem Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums hervor, der unserer Redaktion vorliegt und der am morgigen Mittwoch im Kabinett beschlossen werden soll.

Wer einen Inhalt verbreite oder öffentlich zugänglich mache, der als Anleitung für den sexuellen Missbrauch von Kindern diene, werde „mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, heißt es in der Formulierungshilfe des Ministeriums für den Gesetzentwurf.

Berliner Morgenpost, 11. Mai 2021

Woher kommt der Kinderhass?

Deutschland hasst Kinder. Das kann man spätestens seit der Pandemie so sagen, denke ich. Es ist natürlich nicht so, dass alle Deutschen Kinder hassen, wahrscheinlich würde in Umfragen sogar herauskommen, dass die meisten Deutschen von sich behaupten, Kinder zu mögen. Wahrscheinlich würden das auch die meisten regierenden Politiker*innen sagen. »Soziale Erwünschtheit« würde man das dann nennen, so heißt das Phänomen, dem zufolge Leute in Umfragen oft ein gesellschaftlich akzeptiertes Bild von sich zeichnen, obwohl sie den Rest des Tages nach anderen Maßstäben handeln. Leute nennen sich ja auch »tierlieb« und essen Tiere, was will man machen? Jedenfalls: Deutschland als Staat hasst Kinder, und es gibt nicht genügend politischen Druck auf Politiker*innen, um daran etwas zu ändern, denn dazu ist die Abwertung von Kindern zu tief in unserem Denken verankert. Nicht nur in Deutschland, aber schon auch speziell hier.

Der Spiegel, 11. Mai 2021

Fall Lügde: Untersuchungsausschuss hat es schwer

Der Untersuchungsausschuss werde auch in der nächsten Legislaturperiode im Landtag fortgesetzt werden müssen, sagt der Ausschussvorsitzende Martin Börschel von der SPD. Bei der Aufklärung möglicher Amtsversäumnisse rund um den hundertfachen Kindesmissbrauch in Lügde stehe man aktuell noch vor großen Hürden.

"Fehlende Aktenlieferungen, mangelnde Kooperationsbereitschaft, legitime Auskunftsverweigerungsrechte, die Corona-Pandemie – da kam schon etliches zusammen, was unsere Arbeit sehr sehr erschwert hat", sagte Börschel dem WDR-Magazin Westpol. "Und ein bisschen mehr guter Wille bei vielen Beteiligten hätte schon geholfen, das Leid der Opfer aufzuklären und Schlimmeres für die Zukunft zu verhindern."

WDR, 17. Mai 2021

SPD NRW für mehr Kontrolle 

Die Missbrauchsfälle in Lügde, Bergisch Gladbach oder Münster haben zu einer politischen Debatte darüber geführt, wie der Kinderschutz in NRW verbessert werden kann - und damit zu vielen Fragen: Hat das Land Möglichkeiten, die Arbeit der 186 Jugendämter in NRW besser zu beaufsichtigen? Kann das Thema Kinderschutz künftig stärker in die Aus- und Weiterbildung von Erzieherinnen oder auch Richtern mit einfließen?

Ein von der SPD-Fraktion über den Parlamentarischen Beratungs- und Gutachterdienst des Landtages in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten gibt nun Antworten auf diese und weitere Fragen. Ergebnis: Einige Dinge könnte das Land neu regeln, andere hingegen nicht.

WDR, 4. Juni 2021

Herber Dämpfer

Zum Scheitern des Koalitionsvorhabens, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, erklärt das Aktionsbündnis Kinderrechte (Deutsches Kinderhilfswerk, der Kinderschutzbund, UNICEF Deutschland, in Kooperation mit der Deutschen Liga für das Kind):

„Das Scheitern der Verhandlungen über die Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz ist ein herber Dämpfer für die Kinder, Jugendlichen und Familien unseres Landes, die in den vergangenen Monaten ohnehin schon wenig Unterstützung erfahren haben. Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, dass Kinderrechte bisher zu häufig übergangen werden."

UNICEF, 8. Juni 2021


Immer dieselbe Diagnose

Michael Winterhoff, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Praxis in Bonn, ist deutschlandweit bekannt und war in der Vergangenheit immer wieder in Talkshows zu Gast. Seine Thesen, etwa dass Eltern in Deutschland ihre Kinder zu „Tyrannen“ erziehen und dadurch die gesamte Gesellschaft bedroht sei, sind seit Langem umstritten.

Am Dienstag waren Recherchen des WDR und der „Süddeutschen Zeitung“ zu Michael Winterhoff veröffentlicht worden, darunter auch der Dokumentarfilm „Warum Kinder keine Tyrannen sind“ von WDR-Autorin Nicole Rosenbach. Unter anderem geht es darum, dass Winterhoff Kindern systematisch und ohne tatsächliche Anamnese stets dieselbe, fachlich nicht haltbare Diagnose gestellt und ihnen ohne medizinische Indikation Psychopharmaka verschrieben haben soll, teilweise ohne Einwilligung der Sorgeberechtigten.

Generalanzeiger, 13. August 2021

Nordrhein-Westfalen: Opferbeauftragte kritisiert Jugendämter

Auchter-Mainz berichtete, sie erlebe "immer wieder", dass Hinweisgeber - zum Beispiel Lehrerinnen, Heimpersonal oder Kinderärzte - angeben, dass sie "gar keine Rückmeldung, kein Kontakt, keine Resonanz" bekommen, nachdem sie einen Verdachtsfall gemeldet hätten. Sie sprach von "wenig Zufriedenheit" mit den Jugendämtern. Sie bekomme Anrufe, wonach dort "ganz junge Leute", denen die nötige Ausbildung fehlt, eingesetzt würden.

Ein Kinderarzt habe ihr berichtet: "Das geht so nicht. Ich melde was, ich bin 30 Jahre in einem Problembezirk, ich sehe das Kind und weiß, wann ich was melde. Aber ich kriege gar keine Rückmeldung."

WDR, 20. September 2021

Jugendämter fordern mehr Personal

Die Jugendämter in Hannover haben offenbar zu wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So steht es in einem Brief, aus dem die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" zitiert. Das Schreiben haben Beschäftigte des Kommunalen Sozialdienstes an die Stadtspitze geschickt. 

Die Arbeit in den Jugendämtern habe in den vergangenen Jahren zugenommen, hieß es aus dem Rathaus. Diesen Trend gebe es jedoch in vielen Großstädten. Um durchschnittlich 28 bis 39 Einzelfälle müsse sich jede Fachkraft im Bereich Jugend und Familie kümmern. Nach Angaben einer Sprecherin liegen diese Zahlen im bundesweiten Vergleich im normalen Bereich. Momentan gebe es aber tatsächlich unbesetzte Stellen. Das begründet die Stadt Hannover mit vielen Beschäftigten, die sich momentan in Mutterschutz oder Elternzeit befinden. 

Die Verfasserinnen und Verfasser des Briefs beklagen, fast alle Dienststellen hätten schon mehrfach offiziell gemeldet, dass sie überlastet seien. Mitarbeitende kümmern sich demnach nur noch um akute Fälle, in denen das Kindeswohl gefährdet ist.

NDR, 19. Oktober 2021

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